Die Jurke der Gerechtigkeit

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Freitag morgen. Ick sitze inne Bahn und bekomm die Glotzkorken kaum uff. Die Plackerei hinterlässt ihre Spuren. Tach für Tach. Woche für Woche. Jahr für Jahr. Dekade für Dekade. Mir jegenüber hat sich n Bengel hinjefleetzt. Linke Hand ne Molle, rechte Hand n Besuchsbesen. Ick kiek ihn an. Er kiekt mich an. Wir kieken uns an. Die anderen kieken ausm Fenster.

“Na Keule, wohin des Wegs?”

“Wat willste Opa?”

“Allet jut. Ick wollt nur Konversation betreiben.”

Seine Oogen starren auf meene Latschen. Wandern nach oben. Bleiben an meene blonden Loden hängen. Einen Augenblick lang. Eine Sekunde lang. Eine Minute lang.

“Haste keen Frisör den de vollquatschen kannst?”, erwidert er nach einer absurd langen Verzögerung, als wäre er kurz eingeschlafen.

Bin ick baff? Vielleicht. Wat hab ick och erwartet.

“Offensichtlich nich…” murmelt er, mit Blick uff meene Haare und wendet sich wieder dem Fenster zu.

Ick schnapp mir ne Gärtnerwurscht aus meinem Beutel und beiße jenüßlich rin. Der Saft spritzt im hohen Bogen aus der Jurke heraus, knapp vorbei an dem Fatzke, der mir eben noch komisch kam und lässt sich als feiner Niesel auf der schmierigen Fensterscheibe nieder.

“Na sachee maaal!” Er springt uff. Ballt die Fäuste. Kiekt mich grimmich an; den Körper leicht nach vorne jebeugt. “Dresche?” knurrt er.

Ick starre den Rosen-Rowdy an, die angebissene Jurke in eener Hand. Die andere Hand beschwichtigend auf dem Oberschenkel abgelegt. Wie kann ick dieser Bredullje jetzt am Besten entkommen? N Witz reißen? Agression? Tanzen? Ick entscheide mich für den Witz.

“Det war eigentlich für die Rosen jedacht! Die sehen durstich aus.” schlüpft es aus meiner vollen Futterluke. Etwas Jurkensaft tropft uff meene Hose. “Gib mir die Jurke, du Kasperklown!” faucht er mich an und greift nach meiner Hand. Ick weiche zurück.

“Ey ihr beeden Flitzpiepen” ruft jemand von hinten links, “hört uff da mit dit Jewese und macht ma lieber det Fenster uff, is ja nicht auszuhalten, die Demse hier”. Der Rosen-Rowdy wirft mir nen abschätzigen Blick zu. Setzt seine Sonnenbrille uff. Verschränkt die Arme und lehnt sich zurück. Bleibt der Auftrag wohl an mir hängen.

Langsam richte ick mich uff, die angebissene Jurke noch immer in der linken Hand, fest entschlossen sie zur Verteidigung einzusetzen. Ick strecke die andere Hand in Richtung Fenstergriff und versuche die störrische Fensterklappe mit zwei langen Fingern zu erreichen. Mein linker Fuß hebt sich vom Boden ab, nur noch die Spitze des Schuhes hält mich am Boden. Mein schlacksiger Körper balanciert über die Oberschenkel des Blumen-Rowdies. Ick bekomm Fenstergriff zu greifen und ziehe ihn in meene Richtung. Mit Karacho schlägt die Scheibe nach innen und bleibt an den Verankerungswinkeln hängen.

“STOPP JETZT!”

Ick erstarre in meiner ausjefeilten Ballerino-Position und schaue an mir herab. Meine linke Hand hat sich zu Balance-Zwecken verselbstständigt. Die Jurke klebt nun am Brillenglas vom Rosen-Rowdy. Der Saft läuft ihm auf die Nase. Er bleckt sich die Zähne.

“Oh.” kommentiere ick meinen Fauxpas.

Theatralisch greift er mit Zeigefinger und Daumen nach der Gurke. Zieht sie aus meiner Hand. Zerquetscht sie in seiner Faust. Das saftige Gurkenfleisch quillt zwischen seine Finger hervor.

“Sie Wüstling!” kreischt es von der Seite. Eine ältere Dame mischt sich ein und piekt mit ihrem blauen Kugelschreiber, den sie eben noch zum Ausfüllen ihres Sudokus benutzt hat, zittrig in die Richtung des Rosen-Rowdies.

“Ick.

Glaube.

Ja.

Et.

HACKT!” fletscht dieser mich an. Er öffnet seine Faust und der traurige Gurkenklumpen landet klatschend auf dem genoppten Vinylboden.

Ick kiek ihn an. Er kiekt mich an. Wir kieken uns an. Alle anderen kieken uns an. Ein Hund schlängelt sich zwischen unsere Beene und kiekt mitleidig den Gurkenklumpen an.

Stille.

Schmatzen.

Und auf einmal jeht allet janz schnell. Der Hund leckt die Turnschuhe von dem Rosen-Rowdy ab. Der beugt sich fluchend herunter, um ihn wegzuschieben. “Hau ab du blöde Töle!” Als er sich wieder aufrichtet, fällt aus seiner Brusttasche ein Fahrausweis auf den Boden und bleibt im Jurkenklumpen stecken. Kerzengerade. Der Rowsen-Rowdy will nach ihm greifen. Er beugt sich wieder herunter. Doch der Hund kommt ihm zuvor. Hat nun doch Gefallen an der Jurke gefunden. Er schnappt nach dem Jurken-Haufen, der Fahrschein vom Pöbeler linst aus seiner Schnauze heraus. Der Rosen-Rowdy will danach greifen. Er greift ins Leere. Der Hund flüchtet durch die Beine der anderen Fahrgäste zur offenen Tür. Weg ist er. Der Schaffner besteigt das Abteil und baut sich im Gang auf.

“Die Fahrscheine bitte.”

Ick kieke den Schaffner an. Der Rowsen-Rowdy von Gegenüber kiekt den Schaffner an. Alle kieken den Schaffner an.

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