Fünf Minuten

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Freitag. Der Wind schmeißt ein paar Regentropfen gegen die Scheiben. Die untergehende Sonne hat mein Büro in ein halbdunkles Zwielicht getaucht. Ab und zu verirrt sich eine Meise auf das Fensterbrett neben meinem Schreibtisch. Sie schaut mir ein paar Augenblicke beim Tippen zu, verfolgt den Cursor auf meinem Bildschirm, wendet den wieder Kopf gelangeweilt ab und fliegt dann wieder davon.

Mein müder Blick fällt auf die Uhr in der Taskleiste. 18 Uhr und 23 Minuten. Ich habe Durst. Theatralisch erhebe ich mich, als wollte ich den anderen Kollegen im Büro eine wichtige Ankündigung machen, doch scheinbar haben sie sich in der Deckung der versammelten Monitor bereits davon geschlichen. Ich muss eingeschlafen sein. Das ständige Summen der Lüfter und Festplatten: Ermüdend.

Ich lasse mich zurück in meinen Stuhl fallen und schaue aus dem Fenster. Der Wind hat nachgelassen und ein paar Regentropfen schlängeln sich die Scheibe hinab. Der kleine Meisenmann hat sich wieder auf dem Fensterbrett niedergelassen und schaut mich an. Mir ist, als würde er weinen. “Sei nicht traurig, kleiner Meisenmann”, kommt es mir in den Sinn.

Ich öffne YouTube, suche nach Helge Schneider und spiele das Lied vom Meisenmann. Melancholie überkommt mich. Zuviel für den Meisenmann, er fliegt von dannen. Ich höre das Lied zu Ende und lasse mich von der YouTube-Playlist überraschen. Allein.

So kann es nicht weitergehen, stelle ich fest. Es ist 18 Uhr und 51 Minuten. Warum hat die Uhr in der Taskleiste keine Sekundenanzeige? Ich stehe wieder auf, so bestimmt, wie mein schläfriger Zustand es zulässt, und klappe mein Laptop zu. Als ich die Tür öffne schaue ich in die erschrockenen Augen meines Chefs. Wie lange steht er schon hinter der Tür? Hat er mich belauscht? Habe ich geschnarcht?

“Wohin des Weges so eiligen Schrittes?” blökt er mir entgegen. “Ich-ich-” stolpert es mir von der Zunge. “Auf Toilette!”

“Na, wenn dem so ist! Danach aber schön die Fingerchen waschen. Sie wissen, die Tastatur ist der größte Keimträger im Büro.”

“Natürlich”, antworte ich pflichtbewusst. Auf der Toilette öffne ich das Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Der Meisenmann ist mir gefolgt, sitzt auf dem Fensterbrett und schaut mich mit seinen schwarzen Knopfaugen mitleidig an.

“Komm mit!” flüstert er mir zu.

Ich starre ungläubig auf die kleine Meise auf dem Fensterbrett. Dann richte ich mein Blick auf die dampfende Zigarette in meiner Hand. Hat man mir Marihuana in den Tabak gemischt? Träume ich noch?

“Na los, komm schon. Sei nicht ängstlich, kleiner Meisenmann!” flüstert er mir wieder zu. Ich stelle ein Bein auf das Fensterbrett, greife mit einer Hand nach dem Holzrahmen und stecke den Kopf nach draußen, in die kalte, nasse Herbstluft und atme tief und langsam ein. Die Welt um mich herum verschwimmt.

Ich bin geschrumpft, nur noch etwas größer als die Meise. “Los, steig auf!” lacht er mir entgegen. Irritiert steige ich auf den Rücken meines kleinen gefiederten Freundes und wir fliegen los. Es ist 18 Uhr und 55 Minuten. Fünf Minuten vor Feierabend.

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