Ein Stein (2)

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In einem hohen Bogen fliegen wir durch die Dunkelheit und landen mit einem dumpfen Uff weit außerhalb meines Gartens wieder auf dem Boden. Am Rande des Feldes sehe ich meine schwach leuchtende Hütte.

“Nochmal!” wirft mir der Stein entgegen, der sichtlich Spaß zu haben scheint.

Ich hebe ihn wieder auf, strecke den linken Arm nach oben, den Zeigefinger locker nach vorne gerichtet, wie der Werfer bei einem Baseballspiel, sauge die kalte Nachtluft tief in mich ein, beuge mich nach hinten, lege meinen rechten Arm weit nach hinten, den Stein fest in der Hand und - “Was soll der Zirkus?” unterbricht der Stein meine artistische Konzentration - “Wirf!” - und werfe ihn noch fester als zuvor. Wieder hebe ich mit dem Stein ab. Diesmal sind wir so schnell, dass ich kaum ausatmen kann. Der Wind pfeift um mich herum und drückt mir das Wasser aus den Haaren und meinen Kleidern. Wir steigen immer höher. Der Boden entfernt sich weiter und weiter; meine alte Holzhütte und mein ungepflegter Garten werden so klein, bis sie nur noch ein schimmernder Fleck in der Dunkelheit sind. Mir wird etwas schlecht

“Schau nicht nach unten, schau nach vorne!” raunt mir mein Stein zu.

Als ich wieder nach vorne schaue, sehe ich, wie wir mit einer unsagbaren Geschwindigkeit auf den Mond zurasen. Nach wenigen Sekunden haben wir die schützende Atmosphäre der Erde verlassen und das laute Flattern meiner Kleider ist verstummt. Instinktiv halte ich die Luft an, bis wir mir einem dumpfen Uff auf der schroffen Mondoberfläche landen. Es ist irrsinning kalt und ich bin kurz davor, die Besinnung zu verlieren.

“Muss ich dir jetzt auch noch erklären, wie man atmet?”

Panisch schnappe ich nach Luft. “Ich kann atmen! Hättest du mir das nicht gleich sagen können?”

Der Stein ignoriert meine Kritik. Ich bereue, das Gras in meinem Garten nicht noch mal geschnitten zu haben. Wenn ich wiederkomme, werde ich großes Werkzeug benötigen, um überhaupt bis zu meiner Hütte zu gelangen.

“Können wir dann weiter machen? Der Mond langweilt mich, es gibt noch mehr zu sehen!” schnappt mir der Stein euphorisch entgegen. Ein Stein, der nicht nur ungeduldig ist, sondern auch meine Gefühle ignoriert. Was kommt als nächstes?

Ich hole wieder aus, versuche noch mehr Schwung in meinen Wurf zu pressen und tatsächlich. Dieses Mal sind wir noch schneller, der Stein jauchzt, als es mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit weiter hinaus geht. Ich spüre, wie die wärmenden Strahlen der Sonne auf meinem Rücken immer mehr nachlassen.

“Sehr gut, ich glaube, jetzt hast du den Dreh raus.” ruft mir der Stein zu, während wir durch das kalte, dunkle Nichts fliegen und uns immer weiter von meinem Gärtchen, der alten Schubkarre und meinem Planeten entfernen. Wortlos passieren wir den Saturn, dann den Pluto, der mit etwas leid tut, seit man ihm den Planetenstatus aberkannt hat.

“Schau, dort vorne” - der Stein reißt mich eifrig aus meinem Sekundenschlaf. Als wir unser Sonnensystem verlassen hatten, wurde es etwas langweilig. Nach einigen Minuten näherten uns unausweichlich einem Planeten, der der Erde verblüffend ähnlich sah, aber weniger Landfläche zu besitzen schien. Mit einem dumpfen Uff landeten wir auf einer leicht bewachsenen, erhöhten Ebene.

“Wo sind wir?”, fragte ich meinen Reiseleiter.

“Ich kenne nicht jeden Planeten bei seinem Namen, aber das müsste das Sternensystem XXX sein.” flüsterte mir der Stein zu.

Im Gras, nur wenige Meter vor mir, nahm ich eine Bewegung war. Etwas kam auf mich zu. Ich konnte die Umrisse eine großen, umgedrehten Fußes erkennen.

“Können wir vielleicht weiter?”, hauchte mir der Stein zu. Ungläubig schaute ich ihn an: “Du hast Angst?”

“Ich bin nur ein Stein, wie soll ich mich wehren?”. Ich schüttelte den Kopf. Der umgedrehte Fuß näherte sich und ich erkannte, dass sich an jeder Zehe eine Auge befand. Die Fünf Augen inspizierten aufgeregt die Umgebung, als würden sie mich nicht sehen. Die Ferse war mit einem großen Ohr ausgestattet. Nach unten fügte sich zwei Hälse an den Fuß an. Diese mündeten in Köpfe, die aber weder Haare noch ein Gesicht besaßen, nur große Mäuler mit dreckigen Zähnen, mit denen sich der Fuß durch das Gelände bis. Der Anblick erschauderte mich. Schnell warf ich den Stein über den Fuß hinweg, natürlich ohne ihn loszulassen. Wir flogen nur ein paar Meter, genug für einen kleinen Vorprung. Der Fuß drehten sich um und kamen knabbernd auf mich zu. Ich holte weit aus und warf den Stein so steil es ging Richtung All, um von diesem seltsamen Planeten zu entkommen.

Wir durchquerten die Atmospähre, verließen den Orbit und befanden uns wieder in der stummen, kühlen Einsamkeit des Alls. Diesmal war ich so mit Adrenlin vollgepumpt, dass ich nicht gleich wieder einschlief. Wir verließen diese Galaxy, durchquerten einige Asteroidengürtel und durchflogen dann ein Wolke aus Gas.

“Wo fliegen wir eigentlich hin?” wollte ich von meinem exotischen Reiseleiter wissen. “Zurück.” antwortete er nur knapp. “Ok.”

Die nächste Galaxy zeichnete sich in der Ferne ab. Diesmal wichen wir aus und ließen sie rechts von uns liegen. Wir verlassen nun den Galaxienhaufen, informierte mich der Stein, ab jetzt wird es erstmal nicht viel zu sehen geben.

“Noch weniger?” dachte ich mir. Ich war müde und obwohl ich Angst hatte, den Stein aus Versehen loszulassen und irgendwo in einer unbekannten Galaxie auf einem seltsamen Planeten oder gar einem schwarzen Loch zu stranden, beschloss ich ein wenig zu schlafen. Der Stein wird uns schon lenken, war ich mir sicher.

Als ich aufwachte, befanden wir uns bereits auf einem anderen Planeten.

“Ich dachte wir fliegen zurück?”

“Das dachte ich auch, aber irgendjemand musste ja unbedingt schlafen!”

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